2004/01/13

Insektenejakulat In Einklang mit der Würde ewigen Siechtums

Obgleich tief in seiner Nase die leckende Kanüle einer zerbrochenen Insulinspritze steckte, gab er sich keinesfalls beunruhigt. "Eiszeit". Er fing wieder zu singen an. "Eiszeit". Seine Augen quollen aus den Höhlen und sein Hals pulsierte sichtlich vor Anstrengung. "Wenn die Määrää untergehn und die Äärdää bwicht." Der ihm gallonenweise entweichende Wahnsinn schwappte auf mich zu, überschwemmte meinen Lebenswillen.
"WENN DIE ÄÄRDÄÄ BWII-HIICHT!" Er schrie diese dümmlichen Worte voller Wut, voller Verzweiflung, als letze Klage eines aufbegehrenden Sterbenden, ein von übermächtiger Verdammnis gestaltlicher Fasern durchnäßter Fluch. Er war nicht mehr der Mann, den ich einmal kannte. Er war gekommen, mich zu richten, er war mein meinen Seelenfunken verzehrender Henker geworden.
Keine Sekunde lang schien die leckende Kanüle dieser unnützen Insulinspritze sein Handeln zu beeinträchtigen. Von all den meine bewußte Wahrnehmung tangierenden Merkwürdigkeiten vermochte mich keine stärker zu irritieren. Es gab Tage, da war es für ihn schon unerträglicher Erlebensbalast gewesen, wenn sich ein autonomes Nasenhärchen nicht bändigen lassen wollte oder ein homosexueller Marienkäfer auf der Spitze seines herausragenden Riechkolbens Platz nahm, um in Frieden und Freiheit ohne Furcht vor Mißhandlung oder Diskriminierung zu onanieren. Hach, wie albern.
Sie schüttelte leicht den Kopf.
Wie konnte es ihn nur so demonstrativ unberührt lassen, die leckende Kanüle einer zerbrochenen Spritze in der Nase stecken zu haben? Ich hatte wohl den falschen Einstichwinkel gewählt, möglicherweise hatte auch eine Art spontane Taubheit bei ihm eingesetzt.
"Und der letzte Mensch bittet um den Tod."
Je näher er mir kam, umso unruhiger zuckten seine entgleisten Gesichtszüge im Takt jener rumänischer Fanfaren, die das Ende der uns bekannten Welt einzublasen nicht müde wurden, nicht müde werden durften, denn so wie der Irrsinn heterosexueller Zweisamkeit war auch die Compact-Disc-Lichtberieselungseinheit auf "Repeat" eingestellt. An dieser Stelle zog er sonst immer das Messer. Wo bleibt das Messer? Konzentration.
Ihr Blick gefror zu Eis.
Sein dümmliches Gesicht setzte zu dem für ihn und Seinesgleichen typischen Siegesgrinsen an. Die leckende Kanüle der zerbrochenen Insulinspritze hatte sich auf seine Seite geschlagen. Langsam kroch ein kleines, silbrig glänzendes Etwas aus seiner Nase, erst in Form einer übergroßen Rotzsehne, zäh und glibbrig, dann, immer länger werdend und an den Enden spitz zulaufend, als könne ein Gedanke, eine starke Emotion des Hasses, langjähriger Folterqualen an der Seite eines nicht mehr als Mensch, eher als Gottestrafe ohne Option auf Bewährung oder vorzeitige Begnadigung wahrnehmbarem Gegenstücks selbstständig in reale Materie übergehen; ein Akt psychologischer Notwehr von barbarischer Intensität, wesentlich zu stark, zu unbändig, als daß eine einfache Insulinspritze erfolgversprechende Opposition hätte leisten können.
"Rotes Telefon wenn du versagst."
Seine stechenden, begierigen Blicke konnten mich nicht töten, die Auswüche seiner verletzten Nasenschleimhaut jedoch waren mittlerweile zu einer furchteinflößenden Stichwaffe gereift, mannesgroß und scharf wie der bröckelige Peperonisud, von dem sie bedeckt war. Er nahm den blutroten Todespopel in beide Hände und erhob ihn drohend über sein wasserballförmiges Haupt von eher schmierig-körniger Konsistenz, ohne von der durch diese Aktion nun in Gänze vom Gesicht abtrennenden Nasenflügel Notiz zu nehmen, die in Folge dessen wie in Zeitlupe federgleich zu Bode schwebten, als wollten sie diesem diabolischen Moment eine gewisse Erhabenheit verleihen. Er würde mir seinen Todespopel ruckartig tief zwischen meine Augen versenken, mich mit einem einzelnen kräftigen Streich gen Hölle der Länge nach zerteilen, die beiden zusammengesackten Hälften meines Körpers auf dem grünfarbenen PVC-Boden anatomisch korrekt aneinander ausrichten, meine Arme für mich, die ich nicht mehr fähig wäre, dies selbst zu tun, im rechten Winkel zum übrigen Körper ausbreiten, um in liebevoller Kleinarbeit die waagerechte Teilung in Angriff zu nehmen, von Mittelfinger zu Mittelfinger.
Er würde dabei singen, so wie er es immer tat.
"Und aus den Quellen schießt Blut so hoch bis zum Saturn."
Danach würde er mir eine Krone aus selbsterzeugtem Kot um den Kopf herum installieren.
"Schließlich war die dumme Kuh katholisch!" So würde er sich unseren Freunden und Familien gegenüber rechtfertigen. Alle würden sie ihm zustimmen. "Ja, das stimmt, katholisch war sie wirklich. Wenn sie irgendetwas gewesen ist, dann das."

Er holte zum letalen Stoß aus. Ich würde es jeden Moment überstanden haben. Ich schloß die Augen.
Sie schloß die Augen.

"Und die Äärdää bwi-Und die Äärdää bwi-Und die Äärdää bwi-Und die Äärdää bwi-Und die ..."

"Schatz, kannst du bitte die Anlage ausschalten? Die CD hängt."
"Gerne."

Sie lächelte ihn an.

Die Spritze war eine dumme Idee gewesen. Vielleicht sollte ich nächstes Mal dem Rosenkranz eine Chance geben.





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Copyright 2012 by Sam Dave Mister
"Eiszeit" - Lyrics © Ariola/Maffay, © Sony Music Entertainment Germany GmbH 1982-2012
"Insektenejakulat" © 2011 Scheibenkleistermeister And The Beenbonesuckers, Gesinnungsköter GmbH & Co.KG
"CD", "Compact Disc" and "Compact-Disc-Lichtberieselungseinheit" created by Sony/Philips/​PolyGram/goodoldLudwigvan
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